Klimakrise, Luftverschmutzung, Plastik im Meer, giftiger Sondermüll, steigender Energieverbrauch, Zubetonierung von Grünflächen ... Das sind sehr aktuelle Herausforderungen, vor welchen die Menschheit steht. Über die Lösung dieser Umweltprobleme wird viel diskutiert: Die politische Linke fordert strengere Regulierungen und höhere Lenkungsabgaben auf Kraft- und Brennstoffe. Die politische Rechte fordert Lockerungen der Gesetze, um Innovationen auf dem freien Markt entstehen zu lassen. Ideologien prallen aufeinander. Wo liegen die Ursachen dieser Probleme? Das Bruttoinlandprodukt oder «BIP» bezeichnet alle in einem Land verkauften Produkte und Dienstleistungen. Das Steigen des BIPs wird «Wirtschaftswachstum» genannt. Wirtschaftswachstum bedeutet: mehr Konsum, steigender Energieverbrauch, Unmengen an Müll.
[Anmerkung: Der Ausstoss des Klimagases CO2 eines Landes steht zurzeit in direkter Abhängigkeit zum BIP]
[Quellen: Maja Göpel "Unsere Welt neu denken", 2020 Ullstein, p. 75
Luisa Neubauer und Alexander Repenning "Vom Ende der Klimakrise", 2019 Tropen, p. 169]
Woher aber kommt der unbändige Drang nach Wirtschaftswachstum? Hier spielen verschiedene Faktoren eine Rolle: gutes Marketing, das im Kaufrausch kurzfristig wirkende Glückshormon Dopamin, die geplante Kurzlebigkeit von Produkten. Der Fortschritt erhöht unsere Effizienz: Wir benötigen immer weniger Arbeitszeit für die Produktion. Aber anstatt weniger zu arbeiten, produzieren wir einfach mehr. Zusätzlich überschwemmen uns Billiglohnländer mit Textilien und Elektronik, hergestellt unter menschenunwürdigen Arbeitsbedinungen. Zentral für den steigenden Konsum ist das Vorhandensein von genügend Geld, um all die Produkte und Dienstleistungen kaufen zu können. Eine wachsende Geldmenge ist zwingend notwendig für eine wachsende Wirtschaft.
[Quelle: Mathias Binswanger, "Geld aus dem Nichts", 2015 Wiley, p. 149]
Wer profitiert von dieser steigenden Geldmenge? Wenn Investoren ihr Kapital in Sparkonten, Wertpapieren und Immobilien anlegen, so werden Kapitaleinkommen erwartet, die wiederum investiert werden und noch mehr Kapitaleinkommen erzeugen sollen. Damit dieser sogenannte «Zinseszinsmechanismus» funktioniert, muss die Geldmenge exponentiell wachsen. Dabei führen steigende Kapitaleinkommen nebenbei auch zu sozialen Problemen, weil die reichen Gläubiger immer reicher werden und die armen Schuldner nicht vom Fleck kommen.
[Quelle: Thomas Piketty, "Das Kapital im 21. Jh.", 2014 Ch. Beck, p. 465]
Die Hauptursache für den Zinseszinsmechanismus ist Gier. Wir erwarten, dass unsere Ersparnisse, insbesondere die Altersvorsorge, sich auf wundersame Art vermehren. Der Mensch wird vom Wunsch angetrieben, mit möglichst wenig Arbeit viel Geld anzuhäufen. Verantwortlich für die steigende Geldmenge sind private Banken. Sie legen die Geldmenge fest; schliesslich besitzen sie das Recht auf Geldschöpfung. Das heisst: Geld wird «aus dem Nichts» erzeugt, und zwar bei der Kreditvergabe. Für diese Kredite, die sich die Banken aus dem Ärmel schütteln, kassieren sie erst noch Zinsen.
[Quellen: Bank of England (https://www.bankofengland.co.uk/knowledgebank/how-is-money-created)
Schweizerische Nationalbank (https://www.snb.ch/de/srv/id/glossary#glossary_geldschoepfung)]
Kein Wunder, sorgen die Banken für ein stetig steigendes Kreditvolumen, also eine wachsende Geldmenge. Auch Unternehmen der Kohle- und Erdölindustrie werden auf diese Weise finanziert. Wie könnte das BIP stabilisiert werden, um das Wirtschaftswachstum zu stoppen? - Eine stabile Geldmenge würde hierfür ausreichen. Wenn die Geldmengensteuerung demokratisch legitimiert in den Händen der Zentralbanken liegen würde, indem die Geldschöpfung alleine ihnen erlaubt wird, so könnte die Geldmenge gezielt stabilisiert werden.
[Anmerkung: Die zentralisierte Geldmengensteuerung war zu Zeiten des neoliberalen Ökonomen Milton Friedman noch unumstritten und wurde erst später durch Friedrich Hayek von der späten Österreichischen Schule erfolgreich bekämpft.]
Kredite würden weiterhin durch private Banken vergeben, einfach nicht mehr mit Geld aus dem Nichts, sondern mit echten Kundengeldern. Es gäbe dann keinen wachsenden Kuchen mehr - und wenn der Kuchen immer gleich gross bleibt, auch keine quasi garantierten Gewinne für Investoren mehr. Gewinne und Verluste halten sich die Waage. Auch wenn weniger investiert wird: Fortschritt wird es weiterhin geben, weil die relevanten Erfindungen und Entdeckungen schon bisher meistens Dank staatlicher Hochschulforschung gemacht wurden.
[Quellen: Steven Johnson, "Wo gute Ideen herkommen", 2017 Anaconda
Mariana Mazzucato, "The Enterpreneurial State", 2015 Penguin]
Eine solche Geldpolitik kann jenseits des klassischen Links-Rechts-Schemas umgesetzt werden und könnte die Zentralbanken demokratisch legitimieren, mit Hilfe von Geldmengensteuerung das Wirtschaftswachstum zu bänddigen. Für die Bewältigung der Umweltprobleme sind weitere Massnahmen notwendig. Links und Rechts sind gefordert, einen Kompromiss ihrer Ideologien zu suchen. Sie könnten sich zum Beispiel im Rahmen eines Green New Deals das gemeinsame politische Ziel setzen, die Lebensqualität aller Menschen zu maximieren anstelle des BIPs.
[Anmerkung: Eine absolute Entkoppelung des BIPs von der Umweltbelastung wird kaum möglich sein. Daher sind Alternativen gefragt, wie etwa der Index of Sustainable Economic Welfare.]
[Quelle: Marcel Hänggi, "Null Öl. Null Gas. Null Kohle", 2018 Rotpunkt, p. 103]
Auch für die Behebung der sozialen Probleme liegen weitere vielversprechende Ansätze vor. Die Förderung regionaler kollaborativer Gemeinschaften und Genossenschaften sowie ein bedingungsloses Grundeinkommen könnten als ideale Ergänzungen zur Geldmengensteuerung die Armut nachhaltig lindern.
[Quelle: Matthias Schmelzer und Andrea Vetter, "Degrowth/Postwachstum", 2019 Junius]